Ostergedanken
(von Pfarrer Heiner Sandig)
Es macht mich schon traurig, dass wir in diesem Jahr keinen Ostergottesdienst in der Kirche feiern können. Es war immer schon schön , wenn wir miteinander in der kleinen Dorfkirche gesungen und gebetet, gehört und nachgedacht haben und wenn dann nach dem Gottesdienst die Kinder noch die Ostereier gefunden haben. Ja, ein fröhliches Umfeld in einer Kirche tut uns allen zu Ostern gut, weil es doch um den Sinn des Lebens geht. Dieses Jahr müssen wir aus Nächs-tenliebe darauf verzichten, weil wir einander nicht anstecken wollen in der Corona-Pandemie, aber traurig kann man schon darüber sein.
Für viele Menschen ist Ostern ein Fest der erwachenden Natur. Auch wir Christen lieben diesen Aufbruch des Lebens in seiner Schönheit, in seiner Helligkeit, in seinen Farben. Wir alle merken auch, wie wir in diesen Tagen durch das Ge-schehen in der Schöpfung neue Hoffnung bekommen und Müdigkeit und Trau-rigkeit abschütteln können. Wir spüren, wie die erwachenden Kräfte der Natur auch unsere Herzen durchfluten können.
Aber Ostern ist mehr. Es ist eine Glaubensüberzeugung. Der gekreuzigte Jesus aus Nazareth, der in einzigartiger Weise für die Gottesliebe steht und der um-gebracht worden ist, dieser gekreuzigte Jesus lebt und ist lebendiger als je zu vor, er ist nicht tot. Aber es ist auch mehr als ein theoretischer Gedanke. Ostern verändert uns. Auch wenn Hass, Ungerechtigkeit und Schmerz in unserer Welt triumphieren, auch wenn das Kreuz von Jesus nicht das letzte war in dieser Welt, können wir durch Ostern doch fest darauf vertrauen, dass Gottes Liebe und Gottes Nähe sich durchsetzen werden.
Ostern will immer auch eine Bewegung bei uns sein. Unser Leben soll sich am Leben von Jesus orientieren; wie Jesus gelitten hat, bleibt auch uns oft Leiden nicht erspart; der Vater von Jesus ist auch unser Vater oder unsere Mutter; und die Auferstehung von Jesus ist auch unsere Auferstehung. Aber ein fröhliches Osterfest ohne ein Nachdenken über Karfreitag ist sinnlos.
In einer zehn Jahre alten Meditation des Krankenhausseelsorgers Michael Schae-fer habe ich diese Zeilen gelesen, die Karfreitag und Ostern so gut zusammen-bringen:
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
dein eigenes Kreuz zu betrachten,
es anzunehmen und zu tragen.
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
dir einzugestehen,
wieviele unnötige Kreuze du dir selbst
aufgeladen hast:
deinen Stolz, deine Feindschaften,
deinen Hass, deinen Egoismus.
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
die Kreuze der heutigen Menschen
anzuschauen.
Wie viele Menschen drohen heute unter
ihrem Kreuz zusammenzubrechen.
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein
darüber nachzudenken,
wem du selbst ein Kreuz auf die Schultern gelegt hast,
-wem du das Leben schwer oder sogar zu Hölle machst.
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
ein Simon von Cyrene zu sein.
Wem kann du das Kreuz tragen helfen?
Wen kannst du ein Stück von seiner Last
befreien?
Im Blick auf den Karfreitag lade ich dich ein,
dankbar zu sein für Jesus,
der sich an diesem Tag auf die Seite all
derer gestellt hat,
die schwerstes Leid zu tragen haben.
So wird Jesus zur großen Stütze für all die,
die verzweifeln oder resignieren möchten.
Er zeigt ihnen,
wie sie aufstehen und auferstehen können.